Der Luftraum E (Echo) aus der Perspektive eines Air Traffic Controllers – Gastbeitrag Skyguide

Für Pilotinnen und Piloten, die nach Sichtflugregeln (Visual Flight Rules, VFR) fliegen, bedeutet der Luftraum E Frei-heit. Sie können sich dort nach Belieben bewegen, ohne die Flugsicherung kontaktieren zu müssen. In der Schweiz können damit viele Rundflüge ohne jegliche Einschränkungen durchgeführt werden. Gemäss der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO) handelt es sich beim Luftraum E jedoch um einen kontrollierten Luftraum. Welche Auswirkungen hat eine solche Einstufung und was bedeutet sie in der Praxis?

Wie auf dem Boden gibt es auch am Himmel ein Streckennetz, mit dem Unterschied, dass dieses aus Abflug-, Transit- und Anflugrouten besteht. Diese sind so angelegt, dass ein genügend grosser Sicherheitsabstand zum Gelände sowie eine Funk- und Radarabdeckung gewährleistet sind. Den Luftraumklassen wird dabei allerdings nicht Rechnung getragen.

Ein Praxisbeispiel
Nehmen wir als Beispiel einen Transitflug nach Instrumentenflugregeln (Instrument Flight Rules, IFR) zwischen den Drehfunkfeuern (Omnidirectional Radio Range, VOR) Saint-Prex (SPR) und Freiburg (FRI). Ein Luftfahrzeug auf einem solchen Flug wird in Kontakt mit den Flugverkehrsleitenden der Bezirksleitstelle (Area Control Centre, ACC) von Genf stehen und die Flugflächen FL 80, FL 90 oder FL 100 nutzen. Die Obergrenze des Luftraums E liegt bei FL 100. Es kann deshalb durchaus möglich sein, dass in der Nähe VFR-Flüge durchgeführt werden. Da die Flugverkehrsleiten-den aber die Absicht dieser Pilotinnen und Piloten nicht kennen, können sie nicht wie gewohnt eine Staffelung vornehmen (3 NM/1000 ft bzw. 5 NM/1000 ft).

VFR und IFR im Luftraum Delta
Fluglotsinnen und -lotsen lernen bereits in ihrer Ausbildung, für einen ausreichenden Sicherheitsabstand zwischen den Flugzeugen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu sorgen. Das ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Im Luftraum E ist jedoch keine Staffelung zwischen VFR- und IFR-Verkehr erforderlich. Es wird lediglich eine Verkehrsinformation verlangt, soweit dies möglich ist. Im Luftraum E können sich demnach «legale» Annäherungen ereignen, die aus der Sicht der Flugverkehrsleitenden äusserst unangenehm sind. Nur schon im Westschweizer Mittelland verlaufen die An- und Abflugrouten der Flugplätze Payerne und Les Eplatures und des Flughafens Bern durch den Luftraum E. Auf jeder dieser Routen können sich deshalb IFR- und VFR-Flieger gefährlich nahe kommen.

Hot Spots in den Alpen
Die «legalen» Annäherungen, die den Flugverkehrsleitenden in der Genfer Bezirksleitstelle am meisten Sorgen bereiten, kommen aber nicht im Mittelland, sondern in den Alpen, in der Region um Martigny vor. Dabei geht es um Konflikte zwischen IFR-Flügen ab Sitten und VFR-Transitflügen in den Alpen. Dort sind alle Voraussetzungen für potenziell gefährliche Annäherungen gegeben. Denn aufgrund des Reliefs müssen die Flugzeuge im Rhonetal fliegen und der Luftraum C oberhalb von FL 130 / 150 stellt oft eine gläserne Decke dar, die als undurchdringbar betrachtet wird. Die Abflugroute ab Sitten verläuft genau durch diese hindurch.

In solchen Fällen können die Verkehrsleitenden nur zusehen. Eine Staffelung ist praktisch unmöglich. Denn wegen der Topologie ist es kaum möglich, den Steigflug eines IFR-Fliegers zu stoppen oder ihn von seiner Abflugroute abzubringen. Verkehrsinformationen können weiterhin erteilt werden, sofern das Flugzeug bereits mit der Stelle in Genf in Kontakt steht. Jets, die von Sitten aus starten, haben oft eine hohe Steigflugleistung. Daraus resultiert eine starke Neigung, die die Sicht nach vorne erschwert. Hinzu kommt, dass die Pilotinnen und Piloten während der Startphase einer grossen Belastung ausgesetzt und an eine Staffelung gewohnt sind. Die Kombination all dieser Elemente führt zu potenziell gefährlichen Situationen.

Situational Awareness…
Der von VFR-Pilotinnen wegen seiner Freiheit geschätzte und von Fluglotsen aufgrund des gemischten Flugverkehrs gefürchtete Luftraum E ist also ein Sonderfall. IFR-Flüge werden nicht zwingend mit grossen Maschinen durchgeführt, die leicht zu orten wären. Auch einmotorige Kleinflugzeuge können nach IFR fliegen und sind aufgrund ihrer Grösse schwieriger zu sehen. Es gibt keinerlei Garantien dafür, dass die Pilotinnen und Piloten von IFR-Flügen immer genau wissen, in welcher Luftraumklasse sie sich befinden. Können sie daher eine Verkehrsinformation richtig interpretieren? Sind sie sich bewusst, dass ein anderes Flugzeug sehr nahe an sie heranfliegen könnte und die Flugsicherung ihnen nicht die übliche Staffelung garantieren muss?

…See and avoid
Die Bedeutung von «Sehen und gesehen werden» kann nicht oft genug betont werden, ist aber keine zu 100 Prozent sichere Lösung. Der Fluginformationsdienst bietet einen qualitativ hochwertigen Service und erteilt den Pilotinnen und Piloten wertvolle Informationen über den Verkehr in der Nähe, dies aber natürlich im Rahmen des Möglichen. In Zweifelsfällen oder bei Fragen können Sie sich jederzeit an das Fluginformationszentrum (FIC) wenden. Das Wichtigste ist aber, den Blick nach draussen zu richten!

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