Gastbeitrag MeteoSchweiz: Sommerzeit bedeutet Gewittergefahr

Gewitter sind faszinierende Wetterphänomene, die jedoch mit einer Vielzahl von Gefahren für die Fliegerei verbunden sind. Von extremen Turbulenzen und Sturmböen bis hin zu Starkregen, Hagel und Blitzschlag wurden schon so manche Berggänger/-innen und auch Pilot/-innen überrascht. Selbst wenn gewitterhafte Wetterlagen gut erkannt werden, ist es mit den heutigen Wettermodellen nicht möglich, den genauen Ort und Zeitpunkt eines Gewitters zu prognostizieren.
In diesem Gastbeitrag von MeteoSchweiz wird zunächst der Frage nachgegangen, wie Gewitter entstehen. Anschliessend wird aufgezeigt, wo Gewitter in der Schweiz am häufigsten auftreten und welche Auswirkungen sie auf den Flugverkehr haben. Das Ziel besteht darin, dass Pilot/-innen gewitterträchtige Wetterlagen erkennen und einschätzen können und die richtigen Vorsichtsmassnahmen treffen.
Wie entstehen Gewitter?
Damit sich Gewitter entwickeln können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Genügend Feuchtigkeit, vor allem in den tiefen Luftschichten (hohe Taupunkte)
- Labile Schichtung der Troposphäre (unten warm, oben kalt)
- Trigger für initiale Hebung
Durch einen Auslöser (Trigger) wird feuchtwarme Luft zum Aufsteigen gezwungen. Dabei entwickeln sich immer grössere Cumuluswolken, wobei der sogenannte Towering Cumulus (TCU) bereits eine grosse vertikale Mächtigkeit aufweist. Die reife Gewitterwolke ist als Cumulonimbus (CB) bekannt.
Abbildung 1: Lebenszyklus eines Gewitters
a) Towering Cumulus TCU: nur Aufwind und später Niederschlagsbildung b) Mature CB: sowohl Aufwind, wie auch Abwind und Niederschlag c) Dissipating CB: Abwind und Niederschlag. Grafik: National Weather Service
Um Wetterlagen mit erhöhter Gewitterneigung zu erkennen, ist es wichtig, die verschiedenen Auslösemechanismen zu unterscheiden. Der bekannteste Gewittertrigger ist sicherlich die Konvektion, also das Aufsteigen von Warmluft an einem sonnigen Tag über einer Heizfläche wie zum Beispiel einer Bergflanke. Bei entsprechender Anströmung sorgen Berge zusätzlich für Hebung. Teilweise können Gewitter mit entsprechender Höhenströmung von den Bergen bis ins Flachland ziehen. Abgesehen davon werden Gewitter im Flachland häufig durch Fronten ausgelöst. Vor allem Kaltfronten sind für ihre linienartig organisierten CBs bekannt. Aber auch Konvergenzen sind gute Auslöser für Gewitter: Wenn Luft zusammenströmt, ist Hebung die Folge. Das ist manchmal als organisierte Konvergenzlinie vor Kaltfronten der Fall (Squall Line). Auch ausfliessende Kaltluft (Outflow) von bereits aktiven Gewittern kann wieder zu Hebung und damit zu neuen Gewittern führen.
Abbildung 2: Gewitter durch Kaltfront ausgelöst. Grafik: Karl Heinz Hack
Auch wenn Gewitter häufig in der zweiten Tageshälfte auftreten, gibt es manchmal auch nachts oder am Morgen ein Donnerwetter. Hier spielen Trogachsen als Trigger die entscheidende Rolle. Diese CBs haben mit rund 10’000 FT eine hohe Basis. Bereits ein kleiner dynamischer Trog (eine Delle im Höhendruckfeld) oder auch ein thermischer Trog (etwas Höhenkaltluft) reichen für eine Aktivierung der Luftmasse aus. An einem Sommertag mit labiler und feuchter Luft sind in der Regel mehrere Auslösemechanismen für die Gewitterentwicklung verantwortlich.
Auf der Gewitter-Checkliste darf zudem der Faktor Wind nicht fehlen. Ohne ausreichende Strömung entwickeln sich nur isolierte und kurzlebige Gewitter, bei denen die entstehenden Abwinde die Aufwinde gleich wieder unterdrücken. Mit genügend grosser Windscherung werden Auf- und Abwinde räumlich voneinander getrennt, so dass sich langlebige und stärkere Gewitter bilden. Kommt es zudem zu einer Rotation im Aufwindbereich, kann eine Superzelle entstehen. Gewitter können sich auch zu langlebigen Multizellenkomplexen organisieren, die eine grosse räumliche Ausdehnung und ein beträchtliches Niederschlagsgebiet aufweisen.
Wo sind CBs in der Schweiz am häufigsten?
Im Tessin und in den Voralpen gewittert es an etwa 20 bis fast 40 Tagen pro Jahr. Auch entlang des Juras gibt es mehr Gewitter als im Mittelland. Inneralpin gehen die wenigsten Gewitter nieder, wie in der folgenden Abbildung zur Gewitter- und Blitzhäufigkeit zu sehen ist.
Abbildung 3a: Durchschnittliche Anzahl Gewittertage pro Jahr der Jahre 2000-2024, Grafik: MeteoSchweiz
Abbildung 3 b: Durchschnittliche Anzahl Blitzeinschläge pro Jahr und Quadratkilometer der Jahre 2000-2024, Grafik: MeteoSchweiz
Was sind die Gefahren für die VFR-Aviatik?
Jeder TCU und CB weist Turbulenzen auf, die sich in ihrer Stärke von mässig bis extrem erstrecken. Dadurch können sie ein Luftfahrzeug unterschiedlich stark gefährden. Turbulenzen treten nicht nur innerhalb der Gewitterwolke auf. Durch die aus dem CB ausströmende Kaltluft (Outflow) kommt es zu extremen Windscherungen in Bodennähe, die sich mitunter sogar in einiger Distanz zum Gewitter bemerkbar machen. In den Bergen treten abrupte Kanalisationseffekte der Outflows auf. Daher ist es auch in einiger Entfernung von Gewittern wichtig, den Wind auf einem Flugplatz in der Start- und Landephase genau zu beobachten. Besonders gefährlich wirken sich die sogenannten Downbursts auf die bodennahen Flugphasen aus, wie die folgende Grafik eindrücklich zeigt. Downbursts sind extreme Abwinde im Zusammenhang mit CBs, welche mit oder ohne Niederschlag auftreten können. Eine weitere Gefahr ist Starkregen, der die Sicht sehr schnell einschränken kann.
Abbildung 4: Windänderung für ein Flugzeug im Final durch einen Downburst. Grafik: Karl Heinz Hack
Hagel ist für die Fliegerei sehr gefährlich. Für seine Entstehung sind starke Aufwinde notwendig. Nur so kann ein schweres Hagelkorn längere Zeit im CB heranwachsen. Dafür ist ein ziehendes Gewitter mit entsprechender Windscherung nötig. Pilot/-innen müssen sich dessen bewusst sein: Hagelschlag kann nicht nur innerhalb oder unterhalb der Gewitterwolke auftreten. Starke Winde schleudern oftmals die Hagelkörner in den wolkenfreien Raum ausserhalb des CBs. Es empfiehlt sich entsprechend, in sicherer Distanz zur Gewitterwolke – und schon gar nicht unter den Gewitteramboss – zu fliegen.
Abbildung 5: Aufbau eines ziehenden Gewitters mit Hagelturm. Grafik: Karl Heinz Hack
Flugvorbereitung bei gewitterhaften Wetterlagen
Gewitter sind eine der gefährlichsten Wettererscheinungen für die Luftfahrt. Daher gilt grundsätzlich: Sie sind zu meiden und weiträumig zu umfliegen. Zur Berechnung eines sicheren Mindestabstandes kann folgende Faustregel berücksichtigt werden:
- Auf der Rückseite des Gewitters mindestens 20 NM. Auf der Rückseite eines Gewitters befindet man sich, wenn es bereits vorübergezogen ist.
- Auf der Vorderseite des Gewitters pro Knoten Windgeschwindigkeit 1 NM Abstand (30 NM bei 30 KT)
Wenn bereits vor Beginn des Fluges eine Gewitterneigung nicht auszuschliessen ist, sollten mögliche Umwege eingeplant, Ausweichflugplätze vorgesehen und eine zusätzliche Kraftstoffreserve berücksichtigt werden.
Folgende Flugwetterprodukte informieren über die Wetterlage und allfällige Gewitterneigung:
- SIGMET: Warnung vor stark fluggefährdenden Phänomenen wie TS oder TSGR
- Low-level SWC: Angabe von TCU und CB inkl. Tops
- Flugwetterprognose: Angabe von CB und spezieller Rubrik «Gefahren»
- TAF: Erwähnung von TS, GR, GS, TCU, CB und Böen, möglicherweise mit Wahrscheinlichkeit
- GAFOR: Angabe von möglichen Gewittern auf bestimmten Routen
Wichtig ist auch eine gute Beobachtung des aktuellen Wetters, die durch Radar-, Satelliten und Webcambilder unterstützt wird. Gewitter entstehen nicht plötzlich. Sie «kündigen» sich vorher an. Wer die ersten Anzeichen wie immer mächtigere Cumuluswolken richtig deutet, kann gefährliche Situationen verhindern.
Jetzt registrieren!
Um alle Funktionen zu nutzen, erstellen Sie einfach ein neues Konto. Dann können Sie Artikel für später vormerken, Themen abonnieren und regelmäßige Aktualisierungen für Ihre Themen per E-Mail erhalten.